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„In den Anfangszeiten des Alpinismus haben sich die Alpinisten
keine Gedanken um das Wie ihrer Besteigungen gemacht und da-
rüber, welche Methoden legitimerweise eingesetzt werden dürfen“,
schreibt Peter Grupp im Buch „Faszination Berg. Die Geschichte des
Alpinismus“. „Das allein entscheidende Ziel war das Erreichen des
Gipfels. Erst viel später begann mit der Wandlung des Alpinismus
zum Sport die Idee des Fair Play im Kampf mit und gegen den Berg
eine Rolle zu spielen. (...) Mit jedem Fortschritt in der bergsteige-
rischen Technik und Ausrüstung flammt die Debatte erneut auf.“
Dass diese Ethikdiskussion in keiner anderen Sportart so lange
und so vehement geführt wird, führt Grupp darauf zurück, „dass es
im Bergsteigen nie ein festes, allgemein verbindliches, überall gel-
tendes und mit Sanktionsmechanismen bewehrtes Regelwerk ge-
geben hat".
Wendepunkte
„Ich kam aus einer Welt voller Regeln und Vorschriften. Ich betrat
die Welt des Bergsteigens – eine Welt, in der sich alles um deine
Haltung gegenüber dem Berg dreht. 2009 hatte ich keinerlei Bezie-
hung zu den Bergen“, erinnert sich David Lama. Als er 2010 den Cer-
ro Torre in Angriff nahm, wurden für Filmarbeiten weitere Bohrha-
ken gesetzt. Das damalige Scheitern löst Häme aus. Und macht den
jungen Kletterer, dessen Wandlung zum Alpinisten wohl an diesem
Punkt begonnen hat, stärker und klüger. Er kommt zurück, einmal,
zweimal. Und trifft 2012 auf gänzlich andere Bedingungen: Über
Nacht entfernten zwei Bergsteiger die Bohrhaken, die Maestri einst
auf seiner Route gesetzt hatte, die sogenannte Kompressor-Route
war in der Form nicht mehr existent. Lama, zu dem Zeitpunkt ge-
rade in Patagonien, reagiert auf die Nachricht gelassen. Dann eben
ohne Bohrhaken. „In dem Moment, als ich es erfahren habe, hatte
ich noch keine Ahnung, was das für Auswirkungen auf die Alpinwelt,
auf den Berg an sich und auf die Leute dort hat“, sagt Lama. Die Al-
pinisten wollten dem Berg wohl ein Stück seiner Würde zurückge-
ben, doch gleichzeitig nahmen sie damit allen Nachfolgenden die
Chance, den Berg zu bezwingen. Nun, nicht allen.
David Lama und Peter Ortner schafften es. Sie bezwangen die Kom-
pressor-Route am Cerro Torre zum ersten Mal im Freikletterstil: Es war
der dritte Versuch, und kaum einer hatte daran geglaubt, dass er glü-
cken würde. „Viele meiner Projekte waren und sind mit dem Prädikat
‚unmöglich’ behaftet – da ist es klar, dass man hin und wieder schei-
tert. Vom Scheitern kann man oft aber mehr lernen, es regt einen grö-
ßeren Lernprozess an – eben weil man es nicht geschafft hat. Die Fra-
ge nach dem ‚Warum nicht’ stellt man sich oft“, sagt Lama. Manchmal
findet man die Antwort darauf schnell, manchmal nicht. Und manch-
mal ist es auch eine Frage der Zeit, der Entwicklung und des richtigen
Moments, dem Wissen, dass man zurückkommen, den Berg bezwin-
gen wird, weil man daran glaubt, es eines Tages zu können.
Lehrzeiten
Am pakistanischen Masherbrum lernt Lama seine – vorläufigen –
Grenzen kennen, die der Berg ihm diktiert. Der 7821 Meter hohe Ko-
loss bietet alles auf, um das Prädikat „unmöglich“ zu verdienen. Zwei
Mal war David Lama dort, zwei Mal musste er umkehren. Sein Ziel ist
die direkte Linie durch die Nordostwand: 3500 Meter Fels und Eis, in
einer Höhe von 5000 bis fast 8000 Metern. „War am Cerro Torre noch
das Freiklettern die selbst auferlegte Herausforderung, so wäre bei
dieser Wand schon das reine Durchkommen das Ziel“, sagt Lama. Die-
se Wand und die Bedingungen, die sich hier bieten, fordern ein extrem
hohes Maß an Risikobereitschaft. „Wenn wir nochmal einsteigen, wol-
len wir wissen, dass wir es schaffen können. Der zweite Versuch vor
zwei Jahren zeigte, wie weit weg wir davon sind. Und einzusteigen, nur
um es nochmal zu versuchen, ist nicht vertretbar.“
Ob Lama ein Projekt abschließt oder ob es in seinen Gedanken
bleibt, hängt von seiner persönlichen Überzeugung ab. „Solange ich
glaube, dass es machbar ist, und auch den Willen verspüre, es mir
selber zu beweisen, werde ich es wieder versuchen. Fehlt eine dieser
“Denkt man ans Klettern, glauben viele, dass die Kraft
in den Armen sein muss, aber in Wirklichkeit macht man sehr
viel mit Technik und dabei vor allem mit guter Fußarbeit.
Beim Klettern geht es vor allem immer darum, den
Schwerpunkt zu verlagern. Damit macht man weit mehr
wett, als wenn man 100 Klimmzüge schafft. Ich schaffe
keine 100, wahrscheinlich nicht mal 50.”
TIPP VON DAVID LAMA