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in- und Heimweg führten über den Inn, durch eine übelberüch-

tigte Vorstadt mit rohem Volk; hier hatte der Pferdefleischhau-

er einen düsteren, vergitterten Laden, der mir grauenhaft und

geheimnisvoll schien. Aber der Weg durch die hässlichen Gassen war

nicht lang, am Flusse lugte das eiserne Denkmal Walters von der Vo-

gelweide aus grünen Anlagen; und hinter der Brücke waren die lieben,

wohlbekannten Gassen und Pfeilergänge mit niedrigen Verkaufsgewöl-

ben, in denen es nach Zimt und Spaniol roch. Da war ein ausgestopf-

tes Krokodil, das an der Decke

des Ladens hing, Deckelgläser

mit leuchtenden Farbpulvern,

Chromgelb, Krapprot und Indi-

go, silberweiße Schellackstan-

gen, Pfeifenläden, in denen es

köstlich nach Weichselholz duf-

tete, und Papiergeschäfte mit

Bilderbogen im Auslagefenster“,

schreibt der Innsbrucker Schrift-

steller Paul Busson im 1920 er-

schienenen Buch „Aus der Ju-

gendzeit. Erinnerungen und

Träume aus alten Tagen.“

Die Vorstadt, deren wenig

schmeichelhaftes Bild der Au-

tor hier zeichnet, ist Anpruggen.

Der älteste Teil Innsbrucks, der aus den Stadtteilen St. Nikolaus und

Mariahilf besteht, war ursprünglich eine Siedlung der Grafen von An-

dechs, einer der bedeutendsten und mächtigsten Adelsfamilien des

Heiligen Römischen Reiches im Hochmittelalter. Als im Jahr 1133 der

bayerische Herzog Heinrich der Stolze ihre Burg Ambras zerstören ließ,

gründeten sie auf der Nordseite des Inns eine Siedlung zwischen dem

Fluss und dem Anstieg zur Nordkette. Doch schon bald zeigte sich, dass

der Kern der in Entstehung begriffenen Stadt am anderen Ufer liegen

sollte: Ab 1180 wurde die heutige Altstadt Innsbrucks errichtet, hüben

und drüben waren verbunden mit einer Brücke, die schließlich weniger

einen verbindenden, sondern einen trennenden Charakter bekam.

Dunkle Zeiten

Zum anrüchigen Ruf der Siedlung trugen zum einen die Ansiedlung

des Leprosenkrankenhauses, des Innsbrucker Sondersiechenspitals,

sowie der öffentlichen Hinrichtungsstelle (im Volksmund Köpflplatz

genannt) bei. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich Anpruggen,

so bezeichnet wurde es in etwa

ab dem 15. Jahrhundert, zu ei-

ner Art Vorort der Stadt, und oft

war Durchreisenden nicht klar,

dass es tatsächlich Teil von Inns-

bruck war. Die Siedlung, vor al-

lem das untere Anpruggen, wur-

de immer mehr zur Heimat der

Handwerker, Steinmetze, Ger-

ber, Glockengießer und ande-

rer Zünfte. Besonders für die

zahlreichen Gießereien war An-

pruggen bekannt, der Löffler-

weg, die Magtstraße (Leonhard

Magt stellte die Gussformen für

die „Schwarzmander“ her) und

die Schmelzergasse sind nach

berühmten Gießereien benannt, die über Hunderte von Jahren be-

standen. Als Ende des 15. Jahrhunderts die Innstraße am gegenüber-

liegenden Flussufer die Funktion der Hauptstraße erhielt, verlor die

St.-Nikolaus-Gasse immer mehr an Bedeutung. Und der Ruf der Sied-

lung litt zusehends. Daran änderte auch die prachtvolle Häuserzeile

nichts, die nach der verheerenden Feuersbrunst 1473, welche insge-

samt 48 der Holz- und Fachwerkhäuser zerstörte, errichtet wurde.

Es war keine Gegend, in der man sich gerne aufhielt. Die ehemalige

Hauptverkehrsstraße verfiel zusehends und sie brachte dem Stadtteil

DER HAUCH DER GESCHICHTE

A WHIFF OF HISTORY

Anpruggen – der älteste Teil Innsbrucks –

ist vor allem durch die prächtige Häuserzeile bekannt,

die ein beliebtes Fotomotiv darstellt. Doch nur wenige besuchen die andere Seite des Flusses.

Dabei ist Anpruggen nicht nur wegen seiner Geschichte sehenswert, sondern insbesondere wegen der

besonderen Szene an Handwerkern, die hier Fuß fasst. //

Innsbruck’s oldest part ‘Anpruggen’ is famous

for its colourful row of houses

- a popular photo motive. But only few visit the left bank of the river Inn,

even though not only its interesting history is well worth exploring but especially the enchanting

handicraft scene.