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sche Bambino ein papistischer Götzenbilderdienst zur Verstörung

unschuldiger Seelen. So wundert es nicht, dass justament zur Mit-

te des 16. Jahrhunderts der Weihnachtsbaum als antikatholisches

Pendant zur Krippe reüssiert und erst im 19. Jahrhundert katho-

lischerseits außerhalb des Elsass der Christbaum toleriert wird.“

(147. Jahresbericht 2004, Öffentliches Stiftsgymnasium Kremsmünster,

Dipl.-Theol. P. Klaudius Wintz)

.

Bis jedoch der Baum in die Stuben kam, sollte es hierzulande noch

einige Zeit dauern. Denn anders als heute waren Tannenbäume da-

mals rares Gut in Mitteleuropa und nur begüterte Schichten konnten

sich diesen Luxus leisten. Erst als ab Mitte des 19. Jahrhunderts Tan-

nen- und Fichtenwälder angelegt wurden, konnten sich auch immer

mehr Familien einen Baum leisten. Gleichzeitig kam der Brauch auf,

den Baum mit Kerzen zu schmücken. Das war für den katholischen

Glauben argumentativ wichtig, der den Baum erst allmählich zu tole-

rieren begann: Das Licht, das mit Jesus in die Welt kam, war nun mit

den Kerzen symbolisiert.

Vom Kindlwiegen zur Krippe

Weihnachten in Tirol ohne Krippe ist schlicht undenkbar. Erfunden

wurde diese aber nicht in Tirol, auch wenn man das angesichts der

hierfür herrschenden Begeisterung durchaus glauben möchte. Der

Krippenkult geht auf zwei Bräuche zurück: Zum einen jenen des Kindl­

wiegens, der bereits im 13. Jahrhundert in Frauenklöstern entstand.

Zu Weihnachten wiegten die Nonnen eine Puppe, die das Jesuskind

symbolisieren sollte. Die Puppen wurden im Laufe der Zeit immer

mehr ausgestaltet, sie wurden aus Wachs oder Holz hergestellt und

in liebevoll dekorierten Krippenkästen aufbewahrt. Seit Ende des 16.

Jahrhunderts wurden diese Christkinder in Stuben aufgestellt – Weih-

nachtskrippen, wie wir sie heute kennen, gab es damals noch nicht.

Das Kindlwiegen wurde dann auch vom Volk als Brauch ausgeübt: Vor

allem bedürftige Frauen zogen in der Adventszeit mit ihrem eigenen

Der erste Weihnachtsbaum erstrahlte in

Tirol im Jahre 1841 in der Innsbrucker Hofburg.

Unten eine Aufnahme aus den 1920er Jahren. //

In Tyrol, the Christmas tree could be first admired

in the Imperial Palace in 1841. The image below

was taken in the 1920s. //

immer prachtvoller ausstaffiert wurden, mit leuchtenden Äpfeln,

Datteln und Lebkuchen herausgeputzt und nach der Vorstellung

geplündert wurden. Seit dem 14. Jahrhundert entfernten sich die-

se Mysterienspiele immer weiter von der Liturgie und wanderten

schließlich aus den Kirchen aus, was dramaturgisch gesehen eini-

ge Freiheiten möglich machte, deren letzte Auswüchse wir heute

Betriebsweihnachtsfeier nennen.“

(147. Jahresbericht 2004, Öffent-

liches Stiftsgymnasium Kremsmünster, Dipl.-Theol. P. Klaudius Wintz)

.

Die Plünderung des Baums war übrigens genauso Teil des Brauches

wie der Baum selbst. Sie symbolisierte das „Abschütteln“ der Sünden,

also die Befreiung von der Erbsünde durch Jesus, und das passierte

am 25. Dezember. Dass der Baum schließlich doch noch seinen Sie-

geszug antrat, ist unter anderem den Protestanten zu verdanken.

„Ei-

ne Krippe aufzustellen hätte einen ordentlichen Reformator das

Grausen gelehrt. Dem Götzenbild wurden Symbole und Moral als

Schild und Waffen entgegengehalten. Das unschuldige katholi-

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