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Kind oder einer Puppe von Haus zu Haus, auch eine Wiege war oft mit

dabei. Diese wurde auf den Tisch gestellt und während man zusam-

men betete, wiegte die Frau das Kind. Sie erhielt dafür Lebensmittel

und manchmal auch etwas Geld. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein

wurde dieser Brauch in Tirol gelebt, in den 1960er-Jahren gab es Ver-

suche, ihn wieder zu beleben. Leider ohne Erfolg. Heute gibt es da und

dort Initiativen, die das Kindlwiegen zu neuem Leben erwecken wol-

len. Der zweite Brauch, der schließlich die Entstehung der Krippenkul-

tur beeinflusste, waren die Weihnachtsspiele. In sehr frühen Zeiten

wurden diese Spiele in Kirchen aufgeführt, um den Menschen, die zu-

meist nicht lesen konnten, die Geburt des Jesukindes anschaulich zu

erklären. So entstanden schließlich die Krippen.

Im Tiroler Volkskunstmuseum ist von Dezember bis Ende Januar

eine umfangreiche Sammlung an Krippen aus ganz Tirol ausgestellt.

Mit dabei auch sogenannte Hauskrippen mit einem Mindestmaß von

einem Meter Länge. Daraus entwickelte sich der Brauch des Krippen-

schauens: Nach dem 25. Dezember besuchte man die Nachbarn und

bestaunte deren Krippen. Dabei gab es auch ein Schnapserl, doch man

sagte nicht Prost, sondern Gloria beim Anstoßen. Bis heute

ist das „Gloria-Trinken“ Bestandteil des Krippenschauens,

das nach wie vor Tradition hat.

Ein grausliges Weib

Zwischen 21. Dezember und 6. Januar liegen die zwölf

Raunächte (21./22. Dezember – Thomasnacht, die Winter-

sonnenwende, längste Nacht des Jahres; 24./25. Dezem-

ber; 31. Dezember/1. Januar, 5./6. Januar). In dieser Zeit fin-

det die Wilde Jagd statt: Übernatürliche Jäger geistern durch

Land und Lüfte, begleitet von fürchterlichem Schreien, Heulen und

Stöhnen. Strenge Regeln gab es für diese Nächte: Im Haus durfte et-

wa keine Unordnung herrschen und unter keinen Umständen durfte

man weiße Wäsche auf die Leine hängen, denn diese würden die Rei-

ter stehlen, um sie im Laufe des Jahres als Leichentuch für den Besit-

zer zu benützen. Auch Karten spielen durfte man nicht. Im Allgemei-

nen kann man sagen: Es war besser, sich in dieser Zeit sehr unauffällig,

besinnlich und ruhig zu verhalten. In manchen Gegenden wurden die-

se Vorschriften von den Perchten überwacht. Angeblich stehen diese

die als gute Schönperchten, die „Schianen“, und böse Schiechperch-

ten (schiech bedeutet hässlich, schlimm) mit einer Glocke Radau ma-

chen, in Zusammenhang mit der Frau Percht. Die alte Frau ist ein ge-

spenstisches Wesen, ein grausliges, altes Weib mit zotteligem Haar und

lumpigen Kleidern, mit langen Zähnen und einer eisernen Nase. „Man

sieht, die Person ist nicht gerade Vertrauen erweckend, und ich näh-

me es keinem übel, wenn er, sobald er ihrer ansichtig wird, sich ‚hinter

geheiligte Türen‘ flüchtet. In den Zwölften, vorzüglich aber in der Nacht

vor dem Perchtentag, dem sie den Namen gab, fährt sie sausend durch

die Lüfte, und wehe dem arglosen Wanderer, der ihr begegnet, oder der

Spinnstube, der sie ihren nächtlichen Musterungsbesuch abstattet.“

(Tiroler Volksleben. Ein Beitrag zur deutschen Volks- und Sittenkunde.

von Ludwig Hörmann, Stuttgart 1909).

Um Frau Percht zu besänftigen, stellte man Speisen und oft auch

ein Glas Milch vor die Tür oder aufs Hausdach. Da Frau Percht gern

kleine Kinder stiehlt, legte man diese am Dreikönigstag nicht in die

Wiege, sondern darunter. Im Übrigen hieß der Dreikönigstag im Volks-

mund Perchttag, mancherorts ist das noch heute so. Ein Mittel gegen

dieses fürchterliche Weib war das Räuchern des Hauses. Nach dem

Räuchern mussten alle Fenster, Haus- und Stalltüren fest verschlos-

sen werden und niemand durfte das Haus an diesem Abend noch ver-

lassen.

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KULTURTIPP

Volkskunstmuseum, Universitätsstraße 2, 6020 Innsbruck

Ausstellung: Stuben, Handwerk, Tracht, Feste, Bräuche,

Krippen, Glaube und Magie

, Mo.–So. 9–17 Uhr

BUCHTIPP

Weihnachtskrippen bauen

Susanne Gurschler / Hans Knapp / Hansjörg Penz

Schritt für Schritt zur orientalischen und

heimatlichen Krippe.

Mit ausführlicher Anleitung zum Hintergrundmalen.

184 Seiten, ca. 400 farb. Abb., ca. 50 SW-Zeichnungen

Tyrolia-Verlag, Innsbruck-Wien 2016, € 27,95

CULTURAL TIP

Museum of Tyrolean Regional Heritage, Universitätsstrasse 2, 6020

Innsbruck;

Exhibition: Panelled Rooms, Traditional Dress and

Cribs, Festivals, Dangers and Fears

, Mon-Sun from 9 am – 7 pm

BOOK TIP

Weihnachtskrippen bauen (how to build a nativity scene)

Susanne Gurschler / Hans Knapp / Hansjörg Penz

Step by step to the local and oriental nativity scene.

With detailed instructions.

184 pages, 400 coloured images, 50 drawings

Publisher: Tyrolia-Verlag, Innsbruck-Wien 2016, € 27,95

Die heutige Krippenkultur geht unter anderem auf den Brauch des

Kindlwiegens zurück, um dessen Wiederbelebung man sich heute bemüht. //

Today’s art of crib-making leads back to the custom of cradling,

which some still try to revive.

innsbruck.info/8a